Freitag, 18. Januar 2013

Holocaust auf Ihrem Teller


Die wohl größte öffentliche Kontroverse entfachte PETA bisher mit der Kampagne „Holocaust auf Ihrem Teller“. Die im Jahr 2002 international gestartete Aktion lief 2004 auch in Deutschland an und stellte drastische Fotos von KZ-Häftlingen und Tieren in Massentierhaltung gegenüber.[1]


Bildrechte: Peta
Die Kampagne sollte die Parallelen zwischen verschiedenen Formen systematischer Misshandlung aufzeigen. Mit diesen ganz bewusst ausgewählten, drastischen Bildern sollte der reizüberfluteten Öffentlichkeit vor Augen geführt werden, dass auch heute noch Lebewesen wie identitätslose Objekte behandelt werden.[2]Im Zuge des Holocaust wurden 11 Millionen Menschen verhöhnt, verprügelt, vergast und bespuckt, während Abermillionen anderer Menschen aus Angst um ihr eigenes Leben zusahen und nicht eingriffen – einfach, weil es sie nicht direkt betraf. PETA fordert die Menschen dazu auf, eine solch verhängnisvolle Gleichgültigkeit nicht noch einmal geschehen zu lassen.“[3] Die katastrophalen Lebensbedingungen in Massentierhaltungen sind heute zwar kein Geheimnis mehr, doch die Tendenz zum Verdrängen und Wegschauen ist groß. Laut PETA ist es genau diese Teilnahmslosigkeit, die auch Gräueltaten des Holocausts ermöglichte. PETA möchte mit der Kampagne die Opfer des Holocausts nicht erniedrigen, sondern ihnen vielmehr Ehre erweisen, indem sie daran erinnern was sie durchgemacht haben und dazu beitragen, aktuelle Formen der Gewalt zu verhindern. PETA war sich von Anfang an bewusst, mit dieser provokativen Kampagne eine breite öffentliche Diskussion auszulösen, entschied sich aber gezielt dafür, da sie der Meinung sind, dass die Menschen nur aufzurütteln sind.[4] Die Tierschutzorganisation versucht, die Kampagne damit zu rechtfertigen, dass sie auf dem Zitat "Für Tiere sind alle Menschen Nazis" des jüdischen Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer beruhe, der einen Teil seiner Familie im Holocaust verloren hat.[5]

Was werfen die Kritiker vor?

Gleich nach Start der Kampagne wurden Vorwürfe des Antisemitismus laut, die Aktion sei menschenverachtend und beleidige die Opfer des Holocausts.[6] Die Menschenwürde der Opfer sowie deren Angehöriger, die den Holocaust oft als Kinder erlebten, werde angegriffen.[7] Cynthia Kain, stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, bezeichnet sie als „Gipfel der Geschmacklosigkeit“[8] Diese ablehnende Meinung der Kritiker wurde zumindest in Deutschland gerichtlich bestätigt. Im April 2004 wurde die Kampagne verboten. Das Gericht erläuterte, dass somit die Persönlichkeitsrechte der heute lebenden Juden geschützt werden sollen (einige erkannten sich selbst oder Angehörige auf den Plakaten). Außerdem missachte die Aktion die Menschenwürde der Opfer und bagatellisiere und banalisiere die Schrecken des Holocausts. Gerade diesen Punkt kann ich sehr gut nachvollziehen, da es für Opfer des Holocausts bzw. deren Angehörigen schrecklich sein muss auf diesem, sagen wir mal „ungewöhnlichen“ Weg erneut mit den unfassbaren Schrecken von damals konfrontiert zu werden. Manch fanatischer Tierrechtler vergisst im Kampf um seine Ideale vielleicht zu schnell welche drastischen persönlichen Schicksale hinter jedem der verwendeten Kampagnenbilder stecken.
Die Gräueltaten des Holocaust werden von Professor Walter Zwi Barach in folgendem Podcast derart anschaulich gemacht, dass der Zuhörer Gänsehaut bekommt. Barach sammelte Briefe, Testamente und Augenzeugenberichte von Holocaustopfern und –überlebenden, um die blanken Fakten aus individueller Perspektive wirklich begreifbar zu machen. „Once a day we get one slice of bread with a morsel of food, and this was only since Tuesday. Until then we did not get a thing, the heart nearly passes out for a sip of water,” heißt es in einem der noch gemäßigteren Briefe. Aber hört selbst:

Quelle: Vashem (2013).

Der Europäische Gerichtshof in Straßburg bestätigte das Urteil für Deutschland, das das Grundrecht der freien Meinungsäußerung einschränkt, mit dem Hinweis auf den spezifischen Kontext der deutschen Geschichte.[9] In anderen Ländern konnte die Aktion nicht durch den Gang zum Gericht gestoppt werden.

Fazit

Ganz grundlegend halte ich den Vergleich für gar nicht so wild aus der Luft gegriffen. Leidensfähige Individuen werden in beiden Fällen von mächtigeren Menschen schwer misshandelt, das ist nicht von der Hand zu weisen. Auch das von PETA angesprochene Argument der Teilnahmslosigkeit trotz besseren Wissens ist zutreffend. Dass die Zustände in Massentierhaltungen nicht rosig sind, ist bekannt, dennoch zieht nur die Minderheit der Menschheit daraus irgendwelche Konsequenzen.

Dennoch dürfen bei allem Aktionismus für die gute Sache, die Gefühle Betroffener nicht außer Acht gelassen werden. Die Opfer des Holocausts erlebten unvorstellbares Leid, das Nachgeborene, die ausschließlich Friede, Freude, Eierkuchen kennen, aller aktiven historischen Aufarbeitung zum Trotz, nie in vollem Maße verstehen und nachvollziehen werden können. Sicherlich ist es für Betroffene ein schockierendes, aufrührendes Erlebnis tagtäglich an Plakatwänden vorbeilaufen zu müssen, die die damaligen Schrecken derart drastisch aufzeigen, nicht zuletzt wenn oder weil darauf Bekannte erkannt wurden. Ich kann 100-prozentig verstehen und nachvollziehen wenn sich die Opfer von damals mit dieser Art der Präsentation angegriffen und verletzt fühlen und gerichtlich dagegen vorgehen.

Ich persönlich bin ich aber zu der Ansicht gelangt, dass es wohl das Vernünftigste wäre, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Kampagne nicht aus dem verstörenden Blickwinkel zu betrachten sondern vielmehr aus dem konstruktiven. Das Ausmaß an Grausamkeit und Leid der damaligen Gräueltaten ist unvorstellbar, das steht außer Frage. Doch wie auch PETA denke ich, dass die Kraft der aufrüttelnden Bilder gerade deshalb genutzt werden sollte, um neuerliches Leid dieser Dimension zu verhindern, auch wenn der Gedanke, damit „nur“ Tiere zu retten, vielen Menschen ungewöhnlich vorkommt. Ich bin allerdings der Meinung, dass Leid gleich Leid ist, egal ob bei Mensch oder Tier. Insofern gewinnt diese Kampagne dem Holocaust etwas Positives ab (wenn man das so sagen darf), indem zahlreiche anderer Leben gerettet werden.


Quellen:

Degner, Stefanie (2013): Wie wirksam war PETAs Schock-Kampagne „Holocaust auf Ihrem Teller“? Internet: https://www.vebu.de/tiere-a-ethik/soziologie-und-psychologie/311-wie-wirksam-war-petas-schock-kampagne-holocaust-auf-ihrem-teller [Zugriff am 18.01.2013].
Goldmann, Ayala (2003): Peta-Aktion. Gipfel der Geschmacklosikeit. Internet: http://www.stern.de/panorama/peta-aktion-gipfel-der-geschmacklosigeit-515881.html [Zugriff am 18.01.2013].
PETA (2013)a: Kritikpunkt: PETAs „Holocaust auf dem Teller“-Kampagne ist antisemitisch. Internet: http://www.peta.de/web/home.cfm?p=3833 [Zugriff am 15.01.2013].
PETA (2013)b: PETA’s „Holocaust auf Ihrem Teller“-Kampagne rechtmäßig. Internet: http://www.peta.de/web/petas_holocaust.856.html [Zugriff am 14.01.2013].
Süddeutsche Zeitung (2012): „Holocaust auf Ihrem Teller bleibt verboten“. Internet: http://www.sueddeutsche.de/panorama/gericht-untersagt-plakataktion-von-peta-der-holocaust-auf-ihrem-teller-bleibt-verboten-1.1517638 []Zugriff am 18.01.2013.
Welt (2013): “Holocaust auf Ihrem Teller” bleibt verboten. Internet: http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article110798160/Holocaust-auf-Ihrem-Teller-bleibt-verboten.html [Zugriff am 17.01.2013].
Yad Vashem (2013): The Holocaust. Insights and Perspectives from Holocaust Researchers and Historians. Internet: http://www1.yadvashem.org/yv/en/holocaust/insights/podcast/holocaust_personal_experience.asp [Zugriff am 15.01.2013].



[1] Vgl. PETA (2013)b.
[2] Vgl. PETA (2013)a.
[3] PETA (2013)a.
[4] Vgl. PETA (2013)a.
[5] Vgl. PETA (2013)a.
[6] Vgl. PETA (2013)b.
[7] Vgl. Welt (2012).
[8] Goldmann (2003).
[9] Vgl. Welt (2013).

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