Die wohl größte öffentliche Kontroverse
entfachte PETA bisher mit der Kampagne „Holocaust auf Ihrem Teller“. Die im
Jahr 2002 international gestartete Aktion lief 2004 auch in Deutschland an und
stellte drastische Fotos von KZ-Häftlingen und Tieren in Massentierhaltung
gegenüber.[1]
Bildrechte: Peta |
Die Kampagne sollte die Parallelen
zwischen verschiedenen Formen systematischer Misshandlung aufzeigen. Mit
diesen ganz bewusst ausgewählten, drastischen Bildern sollte der reizüberfluteten
Öffentlichkeit vor Augen geführt werden, dass auch heute noch Lebewesen wie
identitätslose Objekte behandelt werden.[2]
„Im Zuge des Holocaust
wurden 11 Millionen Menschen verhöhnt, verprügelt, vergast und bespuckt,
während Abermillionen anderer Menschen aus Angst um ihr eigenes Leben zusahen
und nicht eingriffen – einfach, weil es sie nicht direkt betraf. PETA fordert
die Menschen dazu auf, eine solch verhängnisvolle Gleichgültigkeit nicht noch
einmal geschehen zu lassen.“[3]
Die katastrophalen Lebensbedingungen in Massentierhaltungen sind heute zwar
kein Geheimnis mehr, doch die Tendenz zum Verdrängen und Wegschauen ist groß.
Laut PETA ist es genau diese Teilnahmslosigkeit,
die auch Gräueltaten des Holocausts ermöglichte. PETA möchte mit der Kampagne die Opfer
des Holocausts nicht erniedrigen, sondern ihnen vielmehr Ehre erweisen, indem
sie daran erinnern was sie durchgemacht haben und dazu beitragen, aktuelle Formen der Gewalt zu verhindern. PETA war sich von
Anfang an bewusst, mit dieser provokativen Kampagne eine breite öffentliche
Diskussion auszulösen, entschied sich aber gezielt dafür, da sie der Meinung
sind, dass die Menschen nur aufzurütteln sind.[4]
Die Tierschutzorganisation versucht, die Kampagne damit zu rechtfertigen, dass sie auf dem
Zitat "Für Tiere sind alle Menschen Nazis" des jüdischen
Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer beruhe, der einen Teil seiner Familie im Holocaust
verloren hat.[5]
Was
werfen die Kritiker vor?
Gleich nach Start der Kampagne
wurden Vorwürfe des Antisemitismus laut, die Aktion sei
menschenverachtend und beleidige die Opfer des Holocausts.[6]
Die Menschenwürde der Opfer sowie deren Angehöriger, die den Holocaust oft als
Kinder erlebten, werde angegriffen.[7]
Cynthia Kain, stellvertretende
Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, bezeichnet sie als „Gipfel der Geschmacklosigkeit“[8]
Diese
ablehnende Meinung der Kritiker wurde zumindest in Deutschland gerichtlich bestätigt.
Im April 2004 wurde die Kampagne verboten. Das Gericht erläuterte, dass somit
die Persönlichkeitsrechte
der heute lebenden Juden geschützt werden sollen (einige erkannten sich
selbst oder Angehörige auf den Plakaten). Außerdem missachte die Aktion die Menschenwürde
der Opfer und bagatellisiere und banalisiere die Schrecken des Holocausts. Gerade
diesen Punkt kann ich sehr gut nachvollziehen, da es für Opfer des Holocausts
bzw. deren Angehörigen schrecklich sein muss auf diesem, sagen wir mal „ungewöhnlichen“
Weg erneut mit den unfassbaren Schrecken von damals konfrontiert zu werden. Manch
fanatischer Tierrechtler vergisst im Kampf um seine Ideale vielleicht zu
schnell welche drastischen persönlichen Schicksale hinter jedem der verwendeten
Kampagnenbilder stecken.
Die Gräueltaten des Holocaust
werden von Professor Walter Zwi Barach in folgendem Podcast derart anschaulich
gemacht, dass der Zuhörer Gänsehaut bekommt. Barach sammelte Briefe, Testamente
und Augenzeugenberichte von Holocaustopfern und –überlebenden, um die blanken
Fakten aus individueller Perspektive wirklich begreifbar zu machen. „Once a day we get one slice of bread with a morsel of
food, and this was only since Tuesday. Until then we did not get a thing, the
heart nearly passes out for a sip of water,” heißt es in einem der noch
gemäßigteren Briefe. Aber hört selbst:
Quelle: Vashem (2013).
Der Europäische Gerichtshof in
Straßburg bestätigte das Urteil für Deutschland, das das Grundrecht der
freien Meinungsäußerung einschränkt, mit dem Hinweis auf den spezifischen
Kontext der deutschen Geschichte.[9]
In anderen Ländern konnte die Aktion nicht durch den Gang zum Gericht gestoppt
werden.
Fazit
Ganz grundlegend halte ich den
Vergleich für gar nicht so wild aus der Luft gegriffen. Leidensfähige
Individuen werden in beiden Fällen von mächtigeren Menschen schwer misshandelt,
das ist nicht von der Hand zu weisen. Auch das von PETA angesprochene Argument
der Teilnahmslosigkeit trotz besseren Wissens ist zutreffend. Dass die Zustände
in Massentierhaltungen nicht rosig sind, ist bekannt, dennoch zieht nur die
Minderheit der Menschheit daraus irgendwelche Konsequenzen.
Dennoch dürfen bei allem
Aktionismus für die gute Sache, die Gefühle Betroffener nicht außer Acht
gelassen werden. Die Opfer des Holocausts erlebten unvorstellbares Leid, das Nachgeborene,
die ausschließlich Friede, Freude, Eierkuchen kennen, aller aktiven historischen
Aufarbeitung zum Trotz, nie in vollem Maße verstehen und nachvollziehen werden
können. Sicherlich ist es für Betroffene ein schockierendes, aufrührendes Erlebnis
tagtäglich an Plakatwänden vorbeilaufen zu müssen, die die damaligen Schrecken
derart drastisch aufzeigen, nicht zuletzt wenn oder weil darauf Bekannte
erkannt wurden. Ich kann 100-prozentig verstehen und nachvollziehen wenn sich die
Opfer von damals mit dieser Art der Präsentation angegriffen und verletzt
fühlen und gerichtlich dagegen vorgehen.
Ich persönlich bin ich aber zu
der Ansicht gelangt, dass es wohl das Vernünftigste wäre, aus den Fehlern der
Vergangenheit zu lernen und die Kampagne nicht aus dem verstörenden Blickwinkel
zu betrachten sondern vielmehr aus dem konstruktiven. Das Ausmaß an Grausamkeit
und Leid der damaligen Gräueltaten ist unvorstellbar, das steht außer Frage.
Doch wie auch PETA denke ich, dass die Kraft der aufrüttelnden Bilder gerade
deshalb genutzt werden sollte, um neuerliches Leid dieser Dimension zu
verhindern, auch wenn der Gedanke, damit „nur“ Tiere zu retten, vielen Menschen
ungewöhnlich vorkommt. Ich bin allerdings der Meinung, dass Leid gleich Leid
ist, egal ob bei Mensch oder Tier. Insofern gewinnt diese Kampagne dem
Holocaust etwas Positives ab (wenn man das so sagen darf), indem zahlreiche
anderer Leben gerettet werden.
Quellen:
Degner,
Stefanie (2013): Wie wirksam war PETAs Schock-Kampagne „Holocaust auf
Ihrem Teller“? Internet: https://www.vebu.de/tiere-a-ethik/soziologie-und-psychologie/311-wie-wirksam-war-petas-schock-kampagne-holocaust-auf-ihrem-teller
[Zugriff am 18.01.2013].
Goldmann,
Ayala (2003): Peta-Aktion. Gipfel der Geschmacklosikeit. Internet:
http://www.stern.de/panorama/peta-aktion-gipfel-der-geschmacklosigeit-515881.html
[Zugriff am 18.01.2013].
PETA (2013)a:
Kritikpunkt: PETAs „Holocaust auf dem Teller“-Kampagne ist antisemitisch.
Internet: http://www.peta.de/web/home.cfm?p=3833
[Zugriff am 15.01.2013].
PETA (2013)b:
PETA’s „Holocaust auf Ihrem Teller“-Kampagne rechtmäßig. Internet: http://www.peta.de/web/petas_holocaust.856.html
[Zugriff am 14.01.2013].
Süddeutsche
Zeitung (2012): „Holocaust auf Ihrem Teller bleibt verboten“. Internet:
http://www.sueddeutsche.de/panorama/gericht-untersagt-plakataktion-von-peta-der-holocaust-auf-ihrem-teller-bleibt-verboten-1.1517638
[]Zugriff am 18.01.2013.
Welt (2013):
“Holocaust auf Ihrem Teller” bleibt verboten. Internet: http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article110798160/Holocaust-auf-Ihrem-Teller-bleibt-verboten.html
[Zugriff am 17.01.2013].
Yad Vashem (2013): The Holocaust. Insights and Perspectives from
Holocaust Researchers and Historians. Internet: http://www1.yadvashem.org/yv/en/holocaust/insights/podcast/holocaust_personal_experience.asp
[Zugriff am 15.01.2013].