Freitag, 9. November 2012

Eine Ratte ist ein Schwein ist ein Hund ist ein Junge

Um ein einheitliches Basiswissen und Grundverständnis für die Inhalte dieses Blog zu schaffen, gehe ich zunächst auf die wichtigsten und fundamentalen Eckpunkte des Diskurses ein: Was ist eigentlich PETA? Warum schleichen ihre Mitglieder nachts auf Bauernhöfe, um dort zu filmen? Dürfen sie das überhaupt? Und wer regt sich denn da so lauthals drüber auf?

PETAs Philosophie

PETA (People for the Ethical Treatment of Animals) ist eine 1980 in den USA gegründete Tierrechtsorganisation, die überzeugt ist, dass Menschen nicht das Recht besitzen, Tiere in irgendeiner Form auszubeuten, zu misshandeln oder zu verwerten.[1] Denn jedes Lebewesen „mit dem Willen zum Leben, [hat] ein Recht auf ein Dasein ohne Schmerz und Leid“[2]. Die PETA-Gründerin Ingrid Newkirk äußerte 1983:

„Tierbefreier bekämpfen die Sonderrolle des menschlichen Tieres, es gibt keine rationale Basis dafür, zu behaupten, der Mensch hätte Sonderrechte. Eine Ratte ist ein Schwein ist ein Hund ist ein Junge. Sie sind alle Säugetiere.“[3]

So weit, so ungewöhnlich. Aber irgendwie nachvollziehbar. Denn wen schüttelt es bitte nicht, angesichts von Bildern, die zusammengepferchte Legebatteriehühner oder Affen zeigen, denen für Experimente Metallklammern in die Köpfchen gerammt wurden? Weltweit lässt sich allerorten Tierleid entdecken, die Liste der Konfliktfelder bzw. Punkte, die PETA kritisiert, ist sehr lang:
  • Massentierhaltung, Tiertransporte, Schlachthöfe und fleischverarbeitende Betriebe
  • Tierversuche
  • Pelztiere
  • Jagd und Angeln
  • Zoos und Tiergärten
  • Tierzirkus, Schaustellerei, Sport, Shows, Brauchtumsveranstaltungen und
  • Fleischessen versus Vegetarismus bzw. Veganismus[4]
PETA hat sich das hehre Ziel auf die Fahnen geschrieben, durch Aufdecken von Tierquälerei, Aufklärung der Öffentlichkeit und Veränderung der Lebensweise, jedem Tier zu einem besseren Leben zu verhelfen.[5]

Provokation und Protest

Werfen wir nun einen Blick auf die Arbeitsmethoden, die Kritikern, trotz PETAs ethisch nachvollziehbaren Grundgedanken, immer wieder neues Futter für Angriffe bieten. Wichtigstes Mittel, um die öffentliche Aufmerksamkeit für Themen zu gewinnen, die im Alltag für gewöhnlich untergehen, stellen für PETA radikal medienwirksame und provokative Kampagnen dar, die sich in ihrer Bandbreite von Plakaten, Filmen bis hin zu Spots und Aufklärungsaktionen erstrecken.  So wurde dem Fleischkonsumenten bei der Aktion „Esst die Wale“ der Walverzehr nahelegt, um unzähligen Hühner, Schweinen, etc. das Leben zu retten. Die Kampagne „Holocaust auf ihrem Teller“ setzte KZ-Häftlinge und Tiere in Massenhaltung gleich. Regelmäßig werben (halb-)nackte Prominente unter dem Slogan „Lieber nackt als im Pelz“ für PETA oder präsentieren gehäutete Tiere mit dem Claim „Das ist der Rest von ihrem Pelz“. PETA liebt die Provokation. Alles wird versucht, um den gelangweilten und von dramatischen Nachrichtenbildern abgestumpften Konsumenten aus seinem Dämmerzustand zu aufzuschrecken.

                                                 
                                                                   Fotorechte: PETA

Um Beweise für allzu oft anzutreffende Tierquälerei zu bekommen und die Missstände anzuklagen, schleichen PETA-Mitglieder heimlich in Tierlabore, Schlachthöfe, Bauernhöfe, etc. und filmen die vorgefundenen Grausamkeiten. Gern wird auch auf Filmmaterial von radikaleren Tierrechts- und/oder befreiungsgruppen wie der Animal Liberation Front (ALF) zurückgegriffen. Provokante Protestaktionen, wie etwa in Fleischschalen verpackte, nackte Menschen, zählen außerdem zum Standard-Programm PETAs. Über zahlreiche gestartete Petitionen versucht PETA über die Politik Veränderungen zu bewirken. Alle Filme, Plakate, Kampagnen sind sowohl offline als auch online jederzeit präsent. Und damit kommen wir zum – meiner Meinung nach – erfolgsstiftenden Moment PETAs: der gezielten Generierung und Nutzung von Medienaufmerksamkeit. PETA weiß, wie und wo aufmerksamkeitserregende Bilder zu bekommen sind und manövriert sich bewusst und mehr oder weniger stilsicher durch den Medienwirbel. Gerade in der jungen Generation senkt der zusätzliche flächendeckende Einsatz von Social-Media-Anwendungen die Hemmschwelle für den Erstkontakt mit den zunächst neuen und fremden Weltansichten.

Zwar besteht in Deutschland seit 1972 ein gültiges Tierschutzgesetz, das – grob zusammengefasst – die Leidensminimierung bzw. -freiheit von Tieren gewährleisten soll, PETAs Ansichten tierleidfreien Lebens gehen aber weit über die Reglementierungen des Gesetzes hinaus. Um das ihrer Ansicht nach himmelschreiende Unrecht zu bekämpfen, scheuen sich PETA-Mitglieder nicht, geltende Gesetze und Maximen des harmonischen gesellschaftlichen Miteinanders zu überschreiten und mit radikalen Gruppierungen wie der Animal Liberation Front (ALF) zu kooperieren, die ihre Ansichten gewaltsam durchsetzen. Das ALF-Mitglied Kevin Kroemmer argumentiert wie folgt:

„Jeder, der sich für Tiere einsetzt oder versucht, etwas für Tiere zu verändern und dabei auf legale Methoden zurückgreift, wird merken, dass man sehr schnell an Grenzen stößt, weil mit Auflagen Proteste eingedämmt werden, dass vor gewissen Läden nicht demonstriert werden darf, dass man im legalen Rahmen nur sehr, sehr beschränkte Mittel hat.“[6]

Die Gegner

Hausfriedensbruch, Einbruch oder Sachbeschädigung werden also bewusst in Kauf genommen, um Tiere zu befreien, brisantes Filmmaterial aufzunehmen und somit öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen.[7] Dieser Balanceakt zwischen Idealismus und Illegalität, kombiniert mit provokanten Aktionen, sorgt dafür, dass sich PETA nicht nur Freunde macht, das ist klar. Zu den Gegnern PETAs zählen verständlicherweise Großkonzerne wie etwa McDonalds, Kentucky Fried Chicken oder Burger King, Schlachthöfe, aber auch kleinere, regionale Betriebe, Zirkusse, und viele mehr. Sie alle sind regelmäßig die Zielscheibe von PETAs Kritik. Sie fürchten Umsatzeinbußen oder Schließungen infolge der Negativschlagzeilen sowie härtere gesetzliche Reglementierungen, die bisherige Arbeitsabläufe verteuern oder erschweren. Abgesehen davon, halten aber auch viele „normale Menschen“ das Vorgehen PETAs für zu rigoros, für übertrieben und verstörend; nicht selten fällt der Begriff „Spinner“. Kritiker werfen PETA zudem Populismus vor. Nackte Frauen auf Plakaten und provokante Kampagnen dienen ihrer Meinung nach nicht dem Schutz der Tiere, sondern ausschließlich dem eigenen Zweck. „Pietätslose“ Kampagnen wie „Holocaust auf ihrem Teller“ sollen um jeden Preis Aufmerksamkeit erzielen, Anstand und Gefühle Betroffener werden missachtet, schimpfen die Gegner. 

                            
                                                       Fotorechte: PETA

Zusammenfassend betrachtet, sieht die Liste der Hauptanklagepunkte so aus:
  •  zu radikal, zu extrem, dogmatisch
  • PETA tötet in eigenen Tierheimen selbst Tiere
  • die Belange der Tiere stehen nicht im Vordergrund
  • Unterstützung illegaler Gewalttäter
  • für Vegetarismus/Veganismus werbende Prominente leben selbst nicht nach dieser Maxime
  • PETAs Aktionen zielen oft bewusst auf Kinder (Gehirnwäsche)
  • PETA setzt sich nicht für alle Tiere ein
  • übertriebene PR-Aktionen (dramatisierend, populistisch, anstandslos)
  • Spenden helfen den Tieren nicht direkt
  • eine vollständige Gleichsetzung von Mensch und Tier ist unmöglich

"Tiere sind zum Schlachten da" versus "Tiere werden ausgenutzt"

Auch die Leipziger Volkszeitung ging im Sommer 2010 der Frage nach ob PETAs provokante Aktionen innerhalb der Bevölkerung Zustimmung finden. Damals saß in der Leipziger Innenstadt eine (kunst-)blutverschmierte, pelzbehängte Frau in einem engen Drahtkäfig und harrte dort mehrere Stunden in glühender Sommerhitze. PETA wollte mit dieser Aktion ein Zeichen gegen Pelzkleidung setzen. Die Reaktionen reichen von "Tiere sind nun einmal zum Schlachten da." über "Ich finde das gut, weil ich es einfach scheiße finde, dass man Lebewesen so ausnutzt." bis hin zu resignierten Aussagen wie "Die Gesellschaft interessiert sich nicht so dafür. Ich glaube, dass die Leute nur vorbeigehen und gucken und das war's."

                              

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass der Gedanke stimmt, dass derartige Aktionen nur von den Menschen wahrgenommen werden, die sich bereits aktiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Die, die es wirklich ansprechen sollen, weigern sich den Argumenten der Tierrechtler Gehör zu schenken und durch eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema zu einer neuen Lebensweise zu gelangen. Denn wie viel leichter ist es, derartig drastische Aktionen mit der Bemerkung "Spinner" abzutun und sich den sonnigen Sonntagnachmittag nicht durch intensives Nachdenken vermiesen zu lassen.

Erstes Fazit

Was bei der Beschäftigung mit PETA zu allererst ins Auge fällt, ist die eindeutige Fokussierung sämtlicher Aktionen darauf, größeres öffentliches Bewusstsein für die Problematik des Tierleids in all seinen Facetten zu schaffen. PETA möchte die Menschen aufrütteln, schockieren, sie zwingen sich mit ihrer Lebensweise und den Missständen, unter denen viele Tiere zu leiden haben, auseinanderzusetzen. Ich musste eindeutig genauer recherchieren, als ich erfahren wollte, was konkret PETA gegen das Tierleid unternimmt. Im Gegensatz zu Organisationen wie Greenpeace, bei denen mein erstes gedankliches Bild ein auf dem Meer schippernder Walschützer in gelber Regenjacke ist, der Walfängerboote kapert, verbinde ich mit PETA zunächst lediglich schrillen Protest, aber keine aktive Tierrettung. Denn auch die Tierbefreiungsaktionen, deren Videos auf der PETA-Homepage gezeigt werden, stammen nicht von PETA selbst. In diesem Punkt schließe ich mich den Kritikern zunächst an, die bemängeln, dass Spenden den Tieren nicht direkt helfen. Aber indirekte Hilfe ist ja auch schon ein Schritt in die richtige Richtung. 

Bei der ersten Auseinandersetzung mit meiner Leitfrage, ob der Zweck die Mittel heilige, stelle ich schnell fest, dass sich deren Beantwortung als sehr kniffelig erweist. Einbruch und Sachbeschädigung sind gesetzlich verboten und damit illegale Straftaten. Und auch wenn PETA diese nicht selbst begeht, so unterstützt sie diese immerhin, indem Videos davon online gestellt werden. Doch was ist schon eine zertrümmerte Eingangstür gegen ein gerettetes Hasenleben? Noch schwerer fällt die Beurteilung provokativer Kampagnen. Ist es korrekt, dass nackte Frauen - sei es mit Salatblättern bekleidet oder in Kunstblut badend - für Tierrechte werben? Wo liegt die Grenze zwischen Pietätlosigkeit und Notwendigkeit, um ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen? Es erfordert noch einiges Grübeln und Recherchieren, um eine vage Antwort auf diese Fragen geben zu können.


Literatur

Ach, Johann S. (2009): Transgene Tiere. Anmerkungen zur Herstellung, Nutzung und Haltung transgener Tiere aus tierethischer Perspektive. In: Ach, Johann S.; Stephany, Martina (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Berlin: Lit Verlag Dr. W. Hopf, S.33–46. 

Baranzke, Heinz (2009): Sind alle Tiere gleich? Vom reduktionistischen Antispeziesismus zur selbstreflexiven Verantwortungsethik. In: Ach, Johann S.; Stephany, Martina (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Berlin: Lit Verlag Dr. W. Hopf, S.17–32. 

      Birnbacher, Dieter (2009): Haben Tiere Rechte? In: Ach, Johann S.; Stephany, Martina (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Berlin: Lit Verlag Dr. W. Hopf, S.47–64. 

  Bleibohm, Gunter; Hoos, Harald (2009): Totentanz der Tiere. Schonungslose Bemerkungen zu Tierelend, Jagd und Kirche. Saarbrücken: Geistreich Verlag. 

      Harringer, Susanna (2002): Manche Tiere sind gleicher. Konzepte von Tierverschonung, Tierbefreiung, Tierrecht und Tierverteidigung und ihr politischer Anspruch. Wien; Mühlheim/Ruhr: Guthmann-Peterson. 

     Hemprich, Georg (2005): Jagd. Über den Umgang zivilisierter Menschen mit der Natur. Eine Gegenrede. In: Berliner TierrechtsAktion (Hrsg.): Befreiung hört nicht beim Menschen auf. Reiskirchen: SeitenHieb Verlag, S.20–36.

       John, Jörg (2007): Tierrecht. Dresden: Saxonia Verlag. 

     Kaplan, Helmut F. (2009): Ich esse meine Freunde nicht. Oder: Warum unser Umgang  mit Tieren falsch ist. Berlin: trafo Wissenschaftsverlag. 

     Kroemmer, Kevin (2005): Actions Speak Louder – Direct Action for Animal Liberation. In: Berliner TierrechtsAktion (Hrsg.): Befreiung hört nicht beim Menschen auf. Reiskirchen: SeitenHieb Verlag, S.77–92. 

      Rippe, Klaus Peter (2011): Tierschützer. Ihre Erscheinungsformen, Handlungsweisen und ihr Ringen um Integrität. In: Bolliger, Gieri; Goetschel, Antoine F.; Rehbinder, Manfred (Hrsg.): Psychologische Aspekte zum Tier im Recht. Band 11: Schriften zur Rechtspsychologie. Bern: Strämpfli Verlag, S.133–152. 

   Singer, Peter (1996): Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.




Internetquellen

  Derbyshire, Stuart (2001):A timeline of reaction. Internet:   www.spiked-online.com/Articles/0000000054FF.htm [Zugriff am 06.11.2012].
 -   Ullman, Harald (2001): Esst Wale! Internet: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-19752776.html [Zugriff am 06.11.2012]




[1] Vgl. PETA (2012).
[2] PETA (2012).
[3] Derbyshire (2001).
[4] Vgl. Harringer (2002): S.51ff.
[5] Vgl. PETA (2012).
[6] Kroemmer (2005): S.77.
[7] Vgl. Kroemmer (2005): S.77.

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